Zweite Chemotherapie

Nun ging es los! Start in den 2ten Chemozyklus zu meiner neoadjuvanten (operationsvorbereitenden)Therapie. Diesmal sollte es anders werden!!! Nach meinen Erfahrungen mit meiner letzten Chemotherapie war ich nun auf die aller schlimmsten Begleitumstände meines Krankenhausaufenthaltes vorbereitet. Nochmal kurz zusammengefasst waren es folgende:Neben mir sterbende, röchelnde, schmerzleidende Patienten; ein verwahrloster, übel riechender Aidspatient im Endstadium und munteres Trombosespritzen durch die Reihen der Liegenden; heftiger Baustellenlärm infolge Um-und Anbaumaßnahmen des Klinikgebäudes; erbärmliche Toiletten und beengte Unterbringung in zu kleinen Krankenzimmern und Fluren; sehr bemühtes, aber (aufgrund der schlechten Rahmenbedingungen) hoffnungslos überlastete Ärzte und Pflegepersonal (Ärzte zeitweise 24 Stunden im Dauereinsatz – lt Aussage sogar manchmal unbezahlt) uvm. Im Detail werde ich alles nochmal im Märztagebuch rekapitulieren.

Freitag , der 20.04.2007

Meine geplante Aufnahme war um 11 Uhr, aber bis endlich ein Bett in einem Zimmer frei wurde, mussten wir noch ca 4-5 Stunden mit anderen aufzunehmenden Patienten auf Behelfsstühlen im beengten Flur warten. Ein sehr netter, junger, engagierter Arzt setzte mir dann am Nachmittag die Nadel für meinen Port. Wir sprachen über Mountainbikes, Rennräder – ich bekam große Sehnsucht nach meinem früheren Leben. Anschließend bekam ich mein Bett zugewiesen. MEIN BETT! Ja – es war wieder mein verdammtes Bett, an genau demselben Platz, in eben diesem Zimmer, in welchem ich vor ein paar Wochen meinen Besuch in meiner kleinen Hölle begonnen hatte – aber egal, ich hatte mich bereits zu Hause auf die schlimmsten Umstände vorbereitet – konnte es noch dicker kommen? Nein! Es kam nicht schlimmer – es kam BESSER! Diesmal teilte ich das beengte Zimmer mit 2 sehr tapferen, netten deutschsprachigen Herren, welche nicht im Sterben lagen. Dies verhieß angenehme Gespräche am Tage und in der Nacht bedeutete es, nur dem Schnarchen, statt dem Wehklagen und Röcheln sterbender Mitpatienten beiwohnen zu müssen.

Gegen 15:45 ging es dann endlich los mit den Vorbereitungen zu meiner Chemotherapie. Die ersten spülenden Infusionen zum Schutz meiner Organe und Infusionen gegen den bevorstehenden Brechreiz wurden an mir angeschlossen. Gegen 17 Uhr bekam ich dann das erste Chemotherapeutikum (Taxotere). So, das Medikament lief nun endlich in meinen Körper, ich versuchte mich zu entspannen … Nach ca 15-20 Minuten war meine Entspannung zu Ende: Mein Körper begann unerwartet Alarm zu schlagen, mein Herz raste und mir wurde elend übel – wie konnte das sein, schon nach knapp 20 Min? Ich hatte schon die Hand am Schwesternschalter als ich mich darauf besann, erst einmal mit meinem Körper zu sprechen. Irgendwie schaffte ich es ihn zu beruhigen und ihm zu erklären, dass es kein Gift, sondern ein wertvolles Medikament sei, auf welches er gerade aufmerksam geworden war. Die Symptome verschwanden nach 5 Minuten – er hatte mich verstanden. Nachdem Taxotere innerhalb einer Stunde in mich hinein gelaufen war, folgte Cisplatin, welches etwa 1-2 Stunden brauchte, um in meinen Körper zu gelangen. Danach ging es (alles begleitet von Spül- und Brechmittelinfusionen) endlich mit 5-FU weiter. Dazu bekam ich den Infusomat, welcher dieses Mittel nun mit 28 ml/h für die nächsten 5 Tage in mich einführen sollte. Meine Beweglichkeit war nun noch stärker eingeschränkt, da der Infusomat immer wieder Aufladung durch einen Netzstecker benötigte. (Mein Hauptaugenmerk während der ganzen Prozedur lag immer darauf, niemals die dünne Nadel, welche mich mit den wichtigen Chemotherapeutika verband, versehentlich abzureißen.)

Das ganze Gestrippe an mir und die beengten Räumlichkeiten des Krankenzimmers blieben nicht ohne Folgen – jeder Toilettengang dauerte nun 20 mal so lange. Aufgrund der vielen organspülenden Infusionen, welche zusätzlich gegeben wurden, hatte ich eine Nacht mit vielen drängenden Toilettengängen und einer kleinen Inkontinenz, welche ein Waschen mitten in der Nacht nebst Neueinkleiden unumgänglich machte. Meine Mitpatienten fanden durch meine Aktionen natürlich auch keinen Schlaf, aber keiner hatte sich etwas anmerken lassen. Ach ja, am Vorabend kamen noch meine Mutter und ihr Mann mich besuchen. Wir sprachen ganz unbefangen über meinen Krankheitsverlauf. Erstaunlich, wie ihre anfängliche Besorgnis und Aufgeregtheit sich über die letzten Wochen zu einem besonneneren Umgang mit meiner Erkrankung gewandelt hatte. Ich stellte mit Befriedigung fest, dass meine Angehörigen mit der Situation besser klarzukommen schienen …

Samstag, der 21.04.2007

Nach einer langen Nacht mit 6 Toilettengängen begann der Morgen um 6:30 schon mit ersten Beschwerden in meinen Beinen. Beim Aufstehen fiel mir auf, dass ich wieder meinen „Storchbeingang“ bekam, welcher sich dadurch kennzeichnete, dass sich beim Laufen nach jedem Schritt die Knie leicht durchdrückten (vergleichbar der „Geher-Sportart“). Ich erinnerte mich, dass ich diese Schwäche in den Beinen auch schon bei meinem ersten Chemozyklus nach ca 3-4 Tagen im Krankenhaus bekam und diese noch ca. 2 Wochen zu Hause nachwirkte – jetzt hatte ich diese Symptome aber schon am 2ten Tag!

Um Herauszufinden, ob dies eine Folge der Chemoptherapie oder des Herumliegens im Krankenhausbett war, gab es nur eine Möglichkeit: Bewegung! Ich machte nun mit meinem Infusionsständer den engen Krankenhausgang nebst Belegschaft unsicher, wenn Wenn ich mal von den Infusionen abgeklemmt war, nutzte ich in den Folgetagen auch das Treppenhaus mit seinen 7 Stockwerken.

Appetitlosikeit und Übelkeit verspürte ich auch schon an diesem 2ten Tag. Im 2ten Chemozyklus schien der körperliche Abbau schneller zu gehen. (Für einen idealgewichtigen Patienten wie ich es bin, stellt dies die größte Gefahr dar, da jedes Kilo für die mir bevorstehende, sehr schwere Operation wichtig sein kann – viele Menschen sterben bei dieser Operation aufgrund Entkräftung und Untergewicht.) Ich konnte es nicht zulassen nach diesem 2ten Chemozyklus erneut 10 kg zu verlieren (nach der ersten Chemotherapie wog ich gerade noch 58 Kilo), um dann in der wenigen Erholungszeit meinem schwer arbeitenden, geplagten Magen eine übermäßige Kalorienaufholjagt zuzumuten. Ich musste also Gegensteuern, solange ich es noch einigermaßen konnte. In den letzten Tagen meiner Chemotherapie würde ich von diesem elenden Krankenhausessen nichts mehr runterkriegen – aufgrund meiner bisherigen Erfahrungen wusste ich das mit Sicherheit. Mein Körper meldete mir eine widersprüchliche Zweiteilung meines Verlangens: Übermächtig wurden mein Ekel und die Übelkeit, sobald ich am am Morgen gegen 7 Uhr das kärgliche Krankenhausessen riechen und sehen musste. Plötzlich spürte ich ganz im Hintergrund meines Bewußtseins, dass da noch mein altes, gesundes Verlangen vorhanden war, mir Nahrung zuführen zu wollen. Ich begann also wieder, wie am Vortag, mit meinem Körper zu sprechen. Ich bat ihn, den Ekel hintenanzustellen und meinem Appetit die Vorfahrt zu geben. Er tat es! Ich schaffte es, bis zum Dienstag kein weiteres Gewicht zu verlieren!

Sonntag , der 22.04.2007

Was für ein Erwachen an diesem Sonntag! Keine spülenden Infusionen in der Vornacht – nur ein Toilettengang. Endlich konnte ich mal etwas schlafen. Aber was noch wichtiger war – Meine Beine wollten wieder! Ich fühlte es sofort beim Aufwachen. Somit war es klar – es war das lange Liegen, welches die Muskulatur so geschwächt hatte. Auch mein Allgemeinzustand war nun deutlich besser: mein System mit dem Essen gelang. Der Abwärtstrend des Vortages wurde nicht nur gestoppt- ich fühlte mich sogar so gut, dass ich schon befürchtete, die Infusionsnadel wäre abgegangen.Nachmittags besuchte mich meine Schwester. Ich gönnte mir eine Schnitte Schwarzwälder in der Kaffeeteria des Krankenhauses, danach unterhielten wir uns im Freien vor dem Krankenhauspavillion. Wir sprachen u.a. über die DVD „das kleine ………“ und die darin enthaltenen sarkastischen Witze. Es tat gut, mit ihr mal wieder richtigen Galgenhumor zu pflegen. Besser, den ganzen Mist verlachen, als im Selbstmitleid zu ertrinken! Besser, schwarzer Humor, als gar keiner! Soviel dazu …

Montag , der 23.04.2007

Mehr als die Halbzeit meines Krankenhausaufenthaltes hatte ich nun hinter mir. In der Vornacht kam trotz allen Pressens und Unterstützung einer doppelten Portion Abführmittel auf der Toilette nichts heraus (dabei hatte ich die stark besuchte Toilette extra in der Nacht aufgesucht, um die Zeit zu haben, es ungestört versuchen zu können). 4 Tage ganz ohne Stuhlgang war noch kein Grund zur Besorgnis – das kannte ich auch von der letzten Chemotherapie. Für einen richtigen Darmverschluß würde ich wohl noch gute 2 Tage benötigen. Bevor ich mich ernsthaft damit beschäftigen konnte, schaffte ich gerade noch den Weg zur Toilette, wo mein Hintern in heftigen Durchfallkrämpfen explodierte. Die Toilette sah danach so schlimm aus, dass ich (am Infusionständer) noch eine Viertelstunde die entstandenen Schäden beseitigte – das wollte ich der Putzfrau nicht zumuten.

Das Essen fing jetzt an richtig anstrengend zu werden – aber ich hatte immer noch kein Kilo abgegeben. Ich lies nun die gereichten Mahlzeiten so lange stehen bis ich mein Appetitzentrum so weit hatte, um das Ekelzentrum in den Keller meines Bewußtseins zu verbannen. Hätte ich sofort drauflosgegessen, wäre mir gleich schlecht geworden. Ein Glück, dass meine Angehörigen mich bei ihren Besuchen meist mit Bananen und Malzbier versorgten. Auf diese Weise hatte ich an diesem Tag sogar noch eine minimale Gewichtszunahme erreichen können.

Dienstag , der 24.04.2007

Das Essen wird immer schwerer. Ein schmerzhafter Schluckauf, welcher tief in meinen Magen reichte, gesellte sich nun dazu. Mir fiel ein, dass er mich auch schon durch meinen ersten Chemozyklus begleitete. Der damals von mir befragte Arzt meinte, dagegen würde man nichts tun können. In Ordnung – wenn ich gegen dieses Symptom schon nichts tun konnte, so beschloss ich es zumindest ignorieren zu dürfen.

Die letzte Nacht angelegte künstliche Ernährung (von meinen Ärtzen und Krankenschwestern gutgemeint)brachte nicht viel – außer einigen nächtlichen extra Toilettengängen. An diesem Tag begann ich dennoch stark an Gewicht zu verlieren. Nebenbei fiel mir auf, wie sich die weisse Nährlösung im Infusionsschlauch mit dem 5-Fu Chemotherapeutikum mischte. Auf dem gelben Aufkleber des Chemotherapeutikums stand aber deutlich sichtbar geschrieben, dass 5-FU auf keinen Fall mit anderen Substanzen gemischt werden solle. Die Frage, ob die Nährlösung die Wirksamkeit des Chemotherapeutikums herabmindern könnte, konnte mir nicht absolut eindeutig beantwortet werden. Da die künstliche Ernährung eh nicht viel gebracht hatte, beschloss ich im Einverständnis mit meinen Ärzten und Schwestern darauf zu verzichten. Am Mittag presste ich mir noch das letzte Essen hinein, daran hatte mein Magen bis in die Abendstunden noch schwer zu Arbeiten. Das Abendessen ließ ich dann komplett zurückgehen. Alleine der Geruch der herumstehenden Krankenhausmahlzeiten verursachte mir eine tiefe Übelkeit.

Ich hatte nur noch einen Gedanken: Morgen muss es nach Hause gehen! Hoffentlich hatten die Verzögerungen bei meiner Aufnahme nicht zur Folge, dass das Chemotherapeutikum nicht rechtzeitig durchlaufen würde. Der Stationsarzt war sehr kooperativ. Wir rechneten die Durchlaufmenge des Infusomaten durch und stellten diese zeitweise etwas höher. Als ich mich schlafen legte, verfolgte mich ein weiterer Gedanke: vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, wenn ich den nächsten Tag nicht mehr aufwachen würde – aber ich wusste ja schon von meiner letzten Chemotherapie, dass es am Ende des Zyklus erst richtig schwer wird. Also gönnte ich mir eine gute Dosis Bromazepam, welche mir einen schönen Schlummerschlaf schenkte.

Mittwoch, der 25.04.2007

Um 6 Uhr morgens weckte mich der der Infusomat mit seinem warnenden Piepen. Der letzte Beutel 5-FU war durchgelaufen. Die Schwester kam sogleich um mich abzustrippen und den Port zu spülen.Während ich zu mir kam, fühlte ich, dass in meinem Hals etwas nicht stimmte. Ich hatte elende Halschmerzen. Musste sie mir am Vortag beim Durchzug im Krankenzimmer zugezogen haben. Es war unvermeidlich, dass Tür und Fenster wegen Besuchern und Schwestern gelegentlich gleichzeitig geöffnet waren. Schade, ich hatte doch vor, diese Chemo möglichst gut zu überstehen und nun musste ganz am Ende doch noch etwas dazwischen kommen. Der Stationsarzt diagnostierte vor meiner Entlassung eine Mukositis. Fast erbsengroße Eiterpusteln hatten sich in meinen Rachen eingenistet – Dies bedeutete wieder ein weiteres Päckchen Antibiotika und Halsschmerzen, welche die Ernährung der ersten Woche daheim zusätzlich erschwerten. Ärgerlich! Im Laufe des Vormittags durfte ich mir dann noch die Portnadel ziehen lassen und auf den Arztbrief warten. Diesmal warteten scheinbar keine Patienten im Flur auf mein Bett, sodass mir eine angemessene Zeit für das Zusammenpacken meiner Sachen gewährt wurde. Der Arztbrief dauerte auch nicht so lange, dennoch kam mir die Zeit mit meinem Gepäck im engen Krankenhauskorridor ewig vor.

Das Mittagessen drohte! Eine Schwester fragte mich netterweise, ob ich noch daran teilhaben wolle. Ihr kurzer, scherzender Blick und meine darauf folgende Geste hatten diese Frage schnell geklärt. Zum Glück bekam ich noch den Arztbrief, bevor die gereichten Mittagessen ihren Geruch verbreiten konnten. Ich verabschiedete mich noch schnell von meinen Mitpatienten und NICHTS WIE NACH HAUSE!

Tipps zur Chemotherapie finden Sie hier: Tipps Chemotherapie

01. Mai 2007