Dritte Chemotherapie

Weiter gehts! Ermutigt durch meinen nachweisbaren Erfolg des zweiten Chemozyklus und die damit verbundenen positiven seelischen und körperlichen Rückmeldungen entschied ich mich, nochmal mit aller Kraft draufzuschlagen. Mein Plan war und ist: ALLES loszuwerden, was sich noch an Krebs in meinem Körper befindet! Da nur die operationsvorbereitende Chemotherapie einen statistisch nachgewiesenen Vorteil für meine Langzeitprognose hat (somit als die effektivere Chemotherapie gegenüber einer postoperativen Chemotherapie erscheint) entschloss ich mich in Absprache mit meinem Führungsdoktor, welcher mein Vorhaben unterstützte, den Dritten meiner 4 Chemozyklen der Operation vorzuziehen.Die Woche im Krankenhaus habe ich zusammengefasst, da vieles (gerade meine körperlichen Symptome) nahezu identisch mit meiner zweiten Chemotherapie war. Abweichendes und Ergänzendes werde ich nun kurz für die gesamte Woche meines Krankenhausaufenthaltes schildern:Dienstag, der 22.05.2007 bis Sonntag, der 27.05.2007   – Chemotherapie im KrankenhausDritte Runde! Ich war bereit und hervorragend eingestellt, um durch mein Fitness- und Ernährungsprogramm der letzten Wochen diesen Chemozyklus mit gutem Anlauf zu bewältigen. Ich startete in guter körperlicher Verfassung (71,2 kg) und konnte anhand der Aufzeichnungen meines zweiten Chemozyklus genau voraussehen, welche Symptome wann auftreten würden und wie damit umzugehen war. Als Optimierung hatte ich mir noch vorgenommen mein Abendessen von Patricia vorbeibringen zu lassen, um keine „Nullrunden“ wegen des schauderhaften Abendessens im Krankenhaus durchmachen zu müssen. Mehr Gelassenheit stand auch auf meinem Programm – ich wusste ja jetzt schon, was mich erwartet. Am Ende wurde es aber doch schwerer, als ich erwartet hatte.Die ersten vier Tage liefen im Plan: Alle Medikationen und ihre Wirkungen auf meinen Körper wiederholten sich, wie ich sie bereits im zweiten Chemozyklus beschrieben hatte. Erst Verstopfung, dann Durchfall, schmerzhafter Schluckauf, Übelkeit und sogar meine Halsentzündung gesellte sich noch fristgerecht am Ende des Zyklus dazu.Außerplanmäßig waren die Umstände im Krankenhaus. Eine Hitzewelle brach herein und verwandelte das alte unklimatisierte Krankenhaus in einen beengten Brutofen, in welchem sich die Gerüche durch die Ausscheidungen der alten, sterbenskranken Menschen trotz Durchzug stark ausbreiteten. Das Personal war sehr bemüht, aber durch diese Umstände einfach überfordert.Neben mir ein türkischer Mitpatient, ca 70 Jahre. Es gelang ihm nicht seine Ausscheidungen zumindest dahin zu plazieren, wofür sie vorgesehen waren. Hemmungsloses tiefes Gerülpse und Flatulenzen in meiner Anwesenheit und der des Pflegepersonals ergänzten den üblen Geruch von getrocknetem Erbrochenen im durchzugigen, heißen Krankenzimmer. Ständiges Gemeckere über die Krankenschwestern ergänzte ein Unterhaltungsprogramm, von welchem ich schon nach dem ersten Tag mehr als genug hatte. Tagsüber kamen seine Angehörigen, 6-8 Leute in einem beengten Krankenzimmer (in welchem zwei Besucher schon zuviel gewesen wären) und es wurde oft gelacht – nachts gab es als Kontrastprogramm sein Gewimmere wegen Schmerzen, welches das Personal in Bewegung hielt. Wie sollte ich da noch schlafen oder gar etwas essen können?Am Anfang meines Aufenthaltes nutzte ich noch jede Möglichkeit mit dem kurzlebigen Akku meines Infusomaten (30-40 min) mein Krankenzimmer zu verlassen. Ein Physiotherapeuth des Krankenhauses ermunterte mich, das Trimmrad im 9ten Stock zu benutzen und mich beim Sportprogramm gegen Krebs im Krankenhaus anzumelden. Ich war noch guter Dinge und tat Beides. Am vierten Tag im Krankenhaus fuhr ich nochmal 3 km auf dem Trimmrad bei etwas mehr als mittlerer Belastung – danach baute ich aber so ab, dass daran nicht mehr zu denken war.Auf dem Korridor der Station schlichen still in der letzten Nacht noch 4 Angehörige eines Sterbenden herum, welche wohl sein unmittelbares Ableben erwarteten. Ich fragte mich, was der Betroffene, die Angehörigen und das Personal davon haben auf der Station den letzten Weg zu gehen – wo es doch so schöne Sterbehospitze geben soll. Mir wurde bewusst, dass ich auf keinen Fall im Krankenhaus sterben will.Dienstag, der 28.05.2007 bis Freitag, der 01.06.2007   – Körper, Seele und Geist (die ersten Tage zu Hause)Ich baute nochmal mehr ab als ich erwartet hatte. Diese Chemotherapie hatte mich wohl am meisten mitgenommen. Mein Körper fühlte sich noch ausgepresster an als in den vergangenen Etappen. Ich konnte fast nichts essen. Magenkrämpfe begleiteten jeden Bissen fester Nahrung, der Körper schien sich gegen jegliche Nahrungszufuhr zu wehren. Die mir vom Krankenhaus mitgegebenen Spülungen konnten nichts gegen meine Halsentzündung ausrichten, dafür verursachten sie eine angegriffene Zunge, welche dem Gefühl einer verbrannten Zunge glich. Ich setzte die scharfen Spülungen ab und die Halsentzündung verschwand im Laufe der Tage – die „verbrannte Zunge“ hielt sich jedoch hartnäckig und gab jedem Essen einen metallischen Beigeschmack. Der Stuhlgang wurde ein blutiges Geschäft. Das Schlimmste jedoch war mein rapider Kräfteverfall innerhalb von ein paar Tagen. Mein Gewicht betrug am 30. Mai noch 67,3 kg, ich hatte trotz allem Gegensteuern innerhalb von 5 Tagen 4 Kilo verloren! Meine Muskulatur hatte aber scheinbar weniger gelitten und so beschloß ich, auf Bewegung in diesen schwierigen Tagen zu verzichten, um nicht noch weitere Kalorien zu verbrauchen. Zu viel war ich ohnehin nicht in der Lage, mein Körper signalisierte mir das erste Mal unmissverständlich, dass er nicht mehr wollte. Meine Seele hatte nun auch ihre Mitarbeit eingestellt. Sie tat es klammheimlich, indem sie sich mit verlockenden Selbstmordgedanken beschäftigte, um mir die weitere Prozedur meiner Behandlung zu ersparen. Mein Verstand bestätigte die unguten Gefühle: Ich befinde mich am Anfang eines langen Leidensweges, welcher immer härter wird und dessen Ausgang obendrein recht ungewiss ist!Was wäre, wenn ich jetzt die Behandlung beenden würde, um mir mit dem bis jetzt erreichten Erfolg noch ein paar sehr schöne Monate mit fast unversehrtem Körper zu gönnen? Ich könnte als derjenige sterben, der ich gewesen bin. Ohne einen durch eine riskante Operation schwer geschundenen und verstümmelten Körper, welcher ohnehin nie mehr die alte Leistungsfähigkeit erreichen würde. Anschließend, wenn der Krebs wiederkommen würde könnte ich mir einen schönen Tod in der Schweiz leisten. So hätten ich und meine Angehörigen noch eine sehr gute Zeit – frei von Krankenhausaufenthalten, düsteren Prognosen, ständigem Kampf, Stress und Gedanken an eine Zukunft, welche eigentlich nur noch Horror verspricht anstatt Zuversicht. Einfach verdrängen, abschalten, aufgeben! Ich könnte relativ jung sterben, mir so sogar den Alterungsprozess ersparen. Ich begann junge Leute, welche durch einen Unfall aus dem Leben genommen wurden, zu beneiden. Sie hatten es hinter sich ohne diese Entscheidung selbst treffen zu müssen.Meine Seele lechtzte nun danach aufzugeben und mein Körper lieferte ihr tüchtig Nahrung mit seinen Beschwerden. Ist denn dieses Leben noch Lebenswert? Selbstmörder beenden es aus nichtigeren Anlässen – warum muss ich mir das geben???Ich muss es mir geben – weil ich nicht anders kann! Es gibt noch meine Geisteshaltung, welche nicht auf die Befindlichkeiten meines Körpers und meiner Seele hören möchte. Es war meine Visualisierung, welche mich in diesen schwierigen Tagen vom Aufgeben abgehalten hatte. Möglicherweise ist mein Leben nur noch eine Idee (abgekoppelt von Seele und Körper) – aber mein Körper und meine Seele sind alleine nicht in der Lage diesen Kampf weiter zu führen. Es muss eine Instanz über ihnen stehen, um sie vom Aufgeben abzuhalten. Ich hoffe, dies wird mir weiterhin gelingen!

01. Juni 2007